Die Orgel

Die heutige Orgel – Vorgeschichte und Planung

Die großherzige Stiftung des Berliner Ehepaares Waldtraut und Dr. Günter Braun ermöglichte den Bau einer für den Kapellenraum mit seinen 120 Plätzen sehr großzügig ausgelegten konzertfähigen Orgel. Die klangliche Konzeption ist so ausgelegt, dass ein großer Ausschnitt von Werken aller Epochen gut interpretierbar ist. Den Bauauftrag führte die inzwischen reprivatisierte „Alexander Schuke Potsdam Orgelbau GmbH“ (Geschäftsführer: Matthias Schuke) 1999 aus.
Wegen der beengten Platzverhältnisse auf der Westempore wurden die Pfeifen von Haupt- und Oberwerk auf eine gemeinsame, nur 95 cm tiefe Windlade gesetzt. Im Zusammenwirken des Verfassers mit Orgelbaumeister Schuke wurde die nunmehr realisierte Disposition mit 20 Registern entwickelt. Die Registerauswahl der beiden Manualwerke ergibt einen sonoren, fülligen Gesamtklang und jeweils zahlreiche farbige Mischungen.
Für die nötige »Würze« sorgen die Linguale, Zungenregister wie Fagott, Trompete und Oboe, die sonst in kleinen Orgeln nur selten zu finden sind. Das Hauptwerk erhielt ein horizontales Zungenregister, dessen Pfeifen waagerecht aus dem Gehäuse hervortreten und ihren Klang unmittelbar in den Raum abstrahlen. Nur durch diese Anordnung kann das häufig erforderliche Nachstimmen ohne Probleme erfolgen. Diesem vollkommen neu entwickelten Orgelregister gaben wir den Namen »Fanfaro«.
Ein aufs ganze Werk wirkender Tremulant ermöglicht die Belebung solistischer Registrierungen auf beiden Manualen. Zwei Cimbelsterne mit ungestimmten Krallenglöckchen setzen dem Werk optisch und akustisch Glanzlichter auf.

Der Prospektaufbau

Sich der Gewölbeform anschmiegend, fügt sich der symmetrisch aufgebaute Orgelprospekt organisch in den Raum. Er setzt nicht auf Effekte, sondern stellt die klingenden Prospektpfeifen – im doppelten Wortsinne – heraus. Diese bestehen aus hochprozentigem »englischem« Zinn und erstrahlen in silbrigem Glanz. Als Reminiszenz an die neugotische Raumarchitektur ist die Form der Oberlabien von der Form der Emporenfüllungen hergeleitet, die eine Synthese zwischen Rund- und Spitzbogen darstellt.

Orgelprospekt mit Cimbelstern / Foto: D.Wetzel

Die jeweilige Mittelpfeife erhielt als besonderen Schmuck ein Labium mit spitz auslaufendem »Eselsrücken«. Über das Gehäuse hinausweisend, bewirken die Pfeifen der fünf hervortretenden Türme eine starke Vertikalbetonung. Äußerlich sichtbar sind nur etwa 10 % des Pfeifenwerks, nämlich 45 klingende und 2 stumme Prospektpfeifen sowie 56 horizontale Zungenpfeifen. Insgesamt verfügt die Orgel über 1.064 klingende Pfeifen.
In geradezu klassischer, guter Orgelbautradition wechseln vorgewölbte und spitz vorspringende Pfeifentürme mit flachen Feldern. Der Mittelbereich zeigt die Pfeifen des Principal 8’ (ab F) und des horizontalen Registers Fanfaro 8’ vom Hauptwerk sowie die beiden Cymbelsterne. Um genügend Höhe für die Baßpfeifen zu erhalten, wurden die in C- und Cis-Seite aufgeteilten Pedaltürme tiefer gesetzt. In je einem Rundturm und flachen Außenfeldern erhielten 16 der tiefsten Pfeifen des Principalbaß 8’ (ab E) ihren Platz. Das massive Holzgehäuse erhielt einen lasierenden Anstrich, dessen Farbtönung mit der Ausstattung im Altarraum korrespondiert und durch farbige Akzente belebt wird.
Am Gehäuse ist der Anfang von Psalm 98 – gleichsam als Aufforderung an die Besucher – zu lesen: »CANTATE DOMINO CANTICUM NOVUM, QUIA MIRABILIA FECIT!« (Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder). Auch das Datum der Wiedereinweihung wurde für die Nachwelt festgehalten: »ORGANUM FACTUM ET CAPELLA RESTAURATA A. D. MCMXCIX AD FESTUM REFORMA-TIONIS« (Die Orgel wurde fertiggestellt und die Kapelle restauriert zum Reformationstag 1999).

Der Spieltisch

Der Spieltisch weist ebenfalls einige Besonderheiten auf. Da es dem Registranten (Helfer, der die einzelnen Register während des Spiels hinzuzieht oder abstößt) wegen der engen Raumverhältnisse auf der Empore nicht möglich ist, um den Organisten herumzugehen, wurden sämtliche Registerzüge auf der linken Seite neben dem Spieltisch angeordnet, so daß sie auch vom Spieler selbst betätigt werden können. Die Bezeichnung der Register ist auf weißen, in die gedrechselten Manubrien (Regis-terzüge) eingelassenen Porzellanschildchen zu lesen.

Der Spieltisch / Foto: D.Wetzel

Die Klaviaturen für beide Manuale erhielten nach der Tradition des Hauses Schuke schwarze Untertasten aus Grenadillholz und weiße Obertasten aus Ahorn mit Knochenauflage. Die Klaviaturwangen bestehen aus Nußbaum-, die Registermanubrien aus Birnbaumholz. Das Pedal, dessen Tasten Eichenholzaufleimer besitzen, wurde zur besseren Erreichbarkeit aller Tasten in paralleler, doppelt geschweifter Form ausgeführt.
Die Koppeln (II. an I. Manual; I. Manual an Pedal sowie II. Manual an Pedal) sind wechselwirkend als Pedaltritte oberhalb der Pedalklaviatur und als Manubrien unter den Registerzügen angelegt, damit sie auch vom Registranten bedient werden können. Das beleuchtete Notenpult wurde flächig aus Massivholz hergestellt, um als Schreibunterlage für Eintragungen des Organisten in die Noten dienen zu können. Die Orgelbank ist stufenlos höhenverstellbar. Entsprechend der Norm des Bundes deutscher Orgelbauer wurden die Klaviaturen so ausgerichtet, daß die Taste c’ der Manuale genau über Taste c des Pedals liegt.

Die heutige Orgel, Frontansicht / Foto: D.Wetzel

 

Disposition der heutigen Schuke-Orgel

Hauptwerk I (C-g³)
1. Principal 8’ a)
2. Koppelflöte 8’
3. Oktave 4’
4. Quinte 2 2/3’
5. Gemshorn 2’
6. Mixtur 4fach 1 1/3’
7. Fanfaro 8’ b)
Oberwerk II (C-g³)
8. Gedackt 8’
9. Salicional 8’ c)
10. Rohrflöte 4’
11. Principal 2’
12. Quinte 1 1/3’
13. Sesquialtera2fach 2 2/3’ + 1 3/5’
14. Oboe 8’
Pedalwerk (C-f1)
15. Subbaß 16’
16. Principalbaß 8’ d)
17. Gedacktbaß 8′
18. Choralbaß 4′
19. Fagott 16′
20. Trompete 8′

a) im Prospekt b) horizontales Trompetenregal im Prospekt c) C-H aus Gedackt 8’ entlehnt d) im Prospekt

Schleifladen mit mechanischer Tasten- und Registertraktur; Tremulant, Cymbelsternzug (2 Sterne mit je 3 Krallenglöckchen), Koppeln II/I, I/P, II/P (als Manubrien und Pedaltritte wechselwirkend). Stimmung: Vallotti & Young, a’ = 440 Hz bei 15° C; Winddruck: 75 mm WS / Opus 610 der Alexander Schuke Potsdam Orgelbau GmbH, erbaut 1999.

Das vielseitige Instrument erklingt regelmäßig in den Konzerten und Klingenden Gottesdiensten in der Kapelle sowie zu zahlreichen Taufen und kirchlichen Trauungen. Darüber hinaus können Führungen mit Vorstellung der Orgel vereinbart werden.

Sie können hier Führungen durch die Kapelle > per E-Mail vereinbaren.

Ausführlicheres zu Geschichte der früheren Orgeln und zum Bau der jetzigen Orgel sowie zur Bauart der einzelnen Register ist beschrieben in der reich illustrierten Festschrift, welche für 2 Euro in der Kapelle erworben oder per E-Mail bestellt werden kann.

Die frühere Schuke-Orgel von 1935

Der Gemeindekirchenrat Neubabelsberg schloß am 23. März 1935 mit der Orgelbauanstalt Alexander Schuke in Potsdam (Inhaber: Karl und Hans-Joachim Schuke) den Vertrag zum Neubau einer Orgel mit 16 Registern, verteilt auf zwei Manuale und Pedal. Nur wenige alte Pfeifenbestände fanden dabei Wiederverwendung. Ihre Prospektfassade im »Heimatstil« nahm fast die gesamte Emporenbreite ein. Sie wirkte zwar – besonders im Hinblick auf fächerförmig angeordnete Pfeifen im Mittelfeld – beeindruckend, war aber nur mit stummen Prospektpfeifen aus Zink versehen.
Die Pfeifenreihen wurden auf die damals modernen elektrischen Taschen-Windladen gestellt. Um den Turmzugang durch eine Tür in der Mitte vom Unterbau der Orgel zu gewährleisten, war der Spieltisch fahrbar eingerichtet. Das Pfeifenwerk vom Hauptwerk (I. Manual) und dem Pedal waren hinter der neuen Prospektwand aufgestellt. Dagegen standen die zum zweiten Manual gehörigen Register auf der Südseite der Empore in einem Schwellkasten zwischen dem Turmschaft und dem Holzgewölbe. Eine Jalousie an der Vorderseite ließ sich mittels Pedaltritt vom Spieltisch aus öffnen und schließen, um die Klangstärke zu verändern. Das Instrument wurde am 1. September 1935 als opus 147 der Firma Schuke eingeweiht.

Die 1935 erbaute Schuke-Orgel (nicht erhalten)
Foto: C. Genesis-Hannig

 

Disposition der Schuke-Orgel, 1935

Hauptwerk I C-g’’’ Schwellwerk II C-g’’’ Pedal C-f ’
1. Principal 8’ 5. Gedackt 8’ 12. Subbaß 16’
2. Gemshorn 8’ 6. Aeoline 8’ 13. Baßflöte 8’ (Transmission aus 5.)
3. Rohrflöte 4’ 7. Principal 4’ 14. Flöte 2’
4. Zimbel 3fach (C = 1’, 2/3’, 1/2’) 8. Waldflöte 2’ 15. Dulcian 16’
9. Sifflöte 11/3’ 16. Krummhorn 4’ (Transmission aus 11.)
10. Sesquialtera 2fach  (C = 2 2/3’, 1 3/5’)
11. Krummhorn 8’

Elektrische Taschenladen, fahrbarer Spieltisch, Jalousieschweller II,
Manualkoppel, Pedalkoppel I, Pedalkoppel II, freie Kombination, Tutti.
Opus 147 der Orgelbauanstalt Alexander Schuke Potsdam, erbaut 1935.

Reparaturen der früheren Schuke-Orgel

1965 folgte eine Reparatur der Orgel, doch führten Verschleißerscheinungen an den elektrischen Kontakten immer wieder zu Störungen. Am 20. Juli 1972 erhielt die Firma Schuke den Auftrag zur Durchführung einer Generalinstandsetzung. Während der Reparaturarbeiten nutzte ein Orgelbauer die Gelegenheit, um mit der im Turm befindlichen Anlegeleiter über die wenige Schritte von der Kapelle entfernte Mauer zum Gelände des Jagdschlosses nach Westberlin zu fliehen. Obwohl die Arbeiten von einem Kollegen zu Ende geführt werden konnten, waren sie nicht lange von Erfolg gekrönt. Eindringendes Regenwasser setzte der empfindlichen elektrischen Technik so zu, daß dem Instrument bald kein Ton mehr zu entlocken war.

Text: Andreas Kitschke