II.St. Peter und Paul auf Nikolskoe – die Pfarrkirche von Klein-Glienicke
III. Die Klein-Glienicker Kapelle – einst Winterkirche für den Ort
IV. Verfall während der deutsch-deutschen Teilung
V. Der Wiederaufbau als Zeichen von Bürgersinn
VI. Der Innenraum
VII. Wieder Leben in der Kapelle!
I. Ortsgeschichte
Klein-Glienicke erhielt seinen Namen zurecht. Schon immer von geringer Einwohnerzahl, war es nach dem Dreißigjährigen Krieg weitgehend entvölkert. Es gehört zu einer ganzen Reihe von Gemeinwesen in der Mark Brandenburg, deren Name sich von dem slawischen Wort »glin« (Lehm) herleitet. 1750 unter Friedrich dem Großen (1712-1786) neu besiedelt, wahrt es bis heute seinen dörflichen Charakter. Eingebettet in die zauberhafte Kulturlandschaft zwischen dem Babelsberger und Glienicker Park, dem Wasser nahe, ist der gesamte Ort heute dem UNESCO-Welterbe zugehörig.
Erste Kunde von Klein-Glienicke gibt das Landbuch Kaiser Karls IV. (1316-1378) von 1375. In krassem Gegensatz dazu entstand seit 1871 am Griebnitzsee eine Villenkolonie, die 1873 den Namen
Neubabelsberg erhielt. Gute Verkehrsanbindungen nach Berlin mittels Landstraße über Kohlhasenbrück oder ab 1874 mit der »Wannseebahn« über Bahnhof Neubabelsberg (später Ufa-Stadt, jetzt S-Bahnhof Griebnitzsee) ließen den Ort bald zu einem bevorzugten Wohnsitz für betuchte Berliner werden. Später wohnten viele Schauspieler hier, welche in den nahegelegenen Filmstudios auf dem Gelände der 1918 gegründeten Ufa – übrigens den größten in Europa – arbeiteten.
Der Ortsname Klein-Glienicke verschwand 1924, als es nach Neubabelsberg eingemeindet wurde. Er lebt jedoch weiter in der Bezeichnung »Klein-Glienicker Kapelle«, den das bis dahin namenlose Gotteshaus durch Beschluß des Gemeindekirchenrates Neubabelsberg vom 13. September 1934 erhielt. 1938 ging wiederum Neubabelsberg in der unmittelbar angrenzenden Industriestadt Nowawes auf, die fortan »Babelsberg« hieß, doch schon im folgenden Jahr nach Potsdam eingemeindet wurde.
II. St. Peter und Paul auf Nikolskoë – die Pfarrkirche von Klein-Glienicke
Jahrhundertelang mußten die evangelischen Bewohner von Klein-Glienicke einen ausgedehnten Sonntagsspaziergang auf sich nehmen, um den Gottesdienst in der 1469 errichteten Kirche im Nachbardorf Stolpe zu besuchen (die heute dort befindliche »Kirche am Stölpchensee« in Berlin-Wannsee wurde erst 1857/59 von Stüler erbaut).
Als dann Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) das Patronat über einen eigenen Kirchenbau übernommen hatte, keimte die Hoffnung auf, der Weg würde dann bald kürzer sein. Doch was geschah? Der König ließ die Klein-Glienicker Pfarrkirche weitab im Wald, am Steilufer der Havel nahe beim Blockhaus Nikolskoë errichten, allen Einwänden zum Trotz, nur wegen der – zugegebenermaßen wunderschönen – Wirkung im Gelände! Zur Begründung wurde herangezogen, daß ja auch die 80 Bewohner der Pfaueninsel dort eingepfarrt würden. Der beschwerliche Fußmarsch für die Klein-Glienicker war also kaum kürzer als bisher. Wenigstens das Pfarrhaus durfte im Ort errichtet werden.
Mitten im Sommer, am 13. August 1837, wurde die malerische, durch ihren Zwiebelturm »russisch« wirkende Kirche eingeweiht und auch das Pfarrhaus war bezugsfertig. Sicherlich gehörte der Kirchweg von Klein-Glienicke nach Nikolskoë zu den schönsten im Brandenburgischen – jedenfalls in der warmen Jahreszeit.
Den Pfarrsprengel Neubabelsberg bildeten die Heilandskirche Sacrow, die Kirche St. Peter und Paul auf Nikolskoe und die Klein-Glienicker Kapelle. Durch den Mauerbau konnte der letzte Pfarrer, Joachim Strauss (1912-1999), den in Westberlin gelegenen Teil seiner Gemeinde nicht mehr besuchen.
Die Heilandskirche Sacrow gehört heute zur Potsdamer Evangelischen Pfingstkirchengemeinde, die Klein-Glienicker Kapelle zur Evangelischen Kirchengemeinde Babelsberg und die Kirche St. Peter und Paul zum Kirchenkreis Berlin-Zehlendorf. Alle drei Kirchen dienen der offenen Arbeit.
III. Die Klein-Glienicker Kapelle – einst Winterkirche für den Ort
Kaum war der Winter gekommen und mit ihm der Schnee, wurde es für die Klein-Glienicker fast unmöglich, zur Kirche zu gelangen, denn sie waren zu arm, um sich Pferde oder gar Schlitten leisten zu können. So blieb ihnen nichts übrig, als im Winter in der Schulstube und später in einem Wohnhaus Gottesdienst zu halten.
Mit Pfarrer Ludwig Petzholtz (1843-1903) kam 1872 ein Mann nach Klein-Glienicke, der den Bau einer Winterkirche vehement vorantrieb. Er konnte den Prinzen Carl, dessen Tochter, die Prinzessin Marie, und den Sohn, Prinz Leopold, dafür gewinnen.
Auch die Bewohner von Klein-Glienicke und der inzwischen neuentstandenen Villenkolonie Neubabelsberg trugen ihren Teil zum Bau der Kapelle bei. Die fehlenden Mittel stiftete Kaiser Wilhelm I. (1797-1888), der auch der Grundsteinlegung am 20. August 1880 beiwohnte.
Schloßbaumeister Reinhold Persius (1835-1912) entwarf das kleine Gotteshaus in neugotischem Stil. Es dauerte kaum mehr als ein Jahr, und die Kapelle konnte eingeweiht werden, am Reformationstag 1881. Die Festpredigt hielt der inzwischen zum Superintendenten von Potsdam gewählte Initiator des Baues, Ludwig Petzholtz, im Beisein des Prinzen Carl und des Prinzen Friedrich Leopold.
Mit der 1931 vom Potsdamer Superintendenten Werner Görnandt (1893-1969) initiierten Öffnung der drei »Havelkirchen« in Sacrow, Nikolskoë und Klein-Glienicke für die Wochenend-Ausflügler war eine neue Aufgabe für die Inhaber der Pfarrstelle Neubabelsberg entstanden. Für die beliebten, an jedem zweiten Dienstag stattfindenden »Orgelfeierstunden« erhielt die Kapelle 1935 eine neue Schuke-Orgel und wurde zugleich neu ausgemalt.
IV. Verfall während der deutsch-deutschen Teilung
Die Tradition der Musikpflege, nach dem Krieg zunächst fortgesetzt, fand mit der Erklärung von Klein-Glienicke zum Sperrgebiet ein jähes Ende. Bis zur Emeritierung des langjährigen Neubabelsberger Pfarrers Joachim Strauss im Jahre 1977 fanden in der Kapelle aber noch regelmäßig Gottesdienste statt. Auch Instandhaltungsarbeiten führte man durch. Das Drama begann erst, als nacheinander ein Dachdecker und ein Orgelbauer die Lage der Kapelle unmittelbar an der deutsch-deutschen Grenze zur Flucht nutzten.
Über die Berliner Mauer gelangten sie auf das Gelände des Jagdschlosses, das schon zu Westberlin gehörte. Nun verweigerten die »DDR«-Behörden weiteren Handwerkern den Zutritt zur Kapelle, die zusehends verfiel. Vor allem die stetig größer werdenden Schäden an den Zinkverblechungen des Daches hatten verheerende Folgen. Der Verfall schritt unaufhaltsam fort.
Die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze am 9. November 1989 ermöglichte nach Jahrzehnten das Betreten des idyllischen Ortes ohne Passierschein. Die Kapelle machte von außen eigentlich noch keinen verfallenen Eindruck, eher einen romantischen, denn aus den Mauerkronen war Birkengrün gewachsen. Um so erschreckender sah das Innere aus. Das Wasser lief buchstäblich die Wände herab, und der Putz war großflächig abgefallen. Wurzelwerk wuchs aus den Mauerfugen, Fruchtkörper des Echten Hausschwamms breiteten sich auf den hölzernen Gewölben und an der Empore aus. Aus der Orgel tropfte ebenfalls Regenwasser. Ein trostloser Anblick – und dazu kam ein modriger Geruch.
Doch irgendwie zog das Gemäuer viele Besucher magisch an. Seit dem Frühjahr 1990 war die Kapelle an vielen Wochenenden stundenweise geöffnet. Die in Scharen vorbeiströmenden (West-) Berliner und auch weitgereiste Besucher informierten sich, wie es zu dem Verfall gekommen war.
V. Der Wiederaufbau als Zeichen von Bürgersinn
Am 10. Juli 1990 gründeten engagierte Bürger aus Ost und West einen Bauverein, der das Ziel verfolgte, dieses »Kleinod märkischer Neugotik« in seiner ursprünglichen Schönheit wiederherzustellen. Anfangs schien es gut voranzugehen, denn die jeweils zu einem Drittel von Land und Landeskirche zur Verfügung gestellten Fördermittel konnten durch Beihilfen der Babelsberger Kirchengemeinde und durch Einzelspenden, die der Bauverein gesammelt hatte, ergänzt werden. Als hier eine Überforderung eintrat, half die Deutsche Stiftung Denkmalschutz in Bonn weiter.
Die Schadenserfassung ergab umfangreiche, substanzgefährdende Schäden. Die Zwerchgiebel hatten sich durch den Schub der defekten Dachkonstruktion aus dem Lot bewegt und erhielten »Stahlkorsetts«. Der durch Erschütterungen vom Turmschaft gelöste obere Turmteil mußte stabilisiert, sein Dach erneuert, die Drachenspeier aus Zink nachgefertigt, die Schall-Jalousien ergänzt und ein neuer Glockenstuhl für die original erhaltene Bronzeglocke von 1881 eingebaut werden. Der Dachstuhl vom Schiff war in seinem unteren Drittel zerstört und zu ergänzen, ebenso die inneren Holzgewölbe. Die Dächer von Chor und Seitenräumen mußten vollständig in alter Konstruktion erneuert werden.
Mit dem Abschluß der Außenistandsetzung waren die Fördermittel erschöpft, weitere Anträge wurden negativ beschieden.
Die Fertigstellung der Kapelle schien in weite Ferne gerückt. Doch sollte es sich sehr bald fügen, daß Menschen mit unerwartet großzügigen privaten Spenden ein Weiterarbeiten ermöglichten, nunmehr unter ehrenamtlicher Bauleitung des Verfassers und weiterhin in enger Abstimmung mit den Denkmalbehörden. Viele Menschen leisteten ihren tätigen Beitrag, so durch Erdarbeiten, um die Grundmauern trockenzulegen, Reinigungsarbeiten, Küsterdienste usw.
Mit besonderer Dankbarkeit sei hier die finanzielle Unterstützung durch das Ehepaar Waldtraut und Dr. Günter Braun und durch Frau Ruth Cornelsen (Cornelsen-Kulturstiftung) erwähnt. Darüber hinaus sind zahlreiche Einzelspenden eingegangen, welche die Restaurierung des Innenraumes und einen Heizungseinbau ermöglichten. Die Gesamtbausumme von ca. 2,5 Mio. DM wurde zu über 72 % durch private Spenden aufgebracht!
Als »Lebensversicherung« für die Kapelle hat ein ehemaliges Gemeindeglied, Frau Rosemarie Kinne-Zedler, innerhalb der Deutschen Stiftung Denkmalschutz eine Stiftung errichtet, aus deren Zinsen die laufende Instandhaltung bezahlt werden kann.
Eindrücke von der Wiederherstellung
VI. Der Innenraum
Der restaurierte schmiedeeiserne Kronleuchter bildet mit seiner starken Farbigkeit einen besonderen Blickfang. Die original erhaltene liturgische Ausstattung – Altar, Kanzel, Taufe, Lesepult – wurde unter Einbeziehung der 1935 hinzugefügten ornamentalen Überfassung restauriert. Auf dem Altar steht das ebenfalls restaurierte originale Kruzifix mit holzgeschnitztem Corpus. Die zwei neuen hölzernen Altarleuchter gestaltete Kurt Kallensee.
Die Arbeiten im Innenraum schlossen die Rekonstruktion der farbigen Raumfassung mit der illusionistischen Draperie an den Chorwänden, den Ornamenten am Triumphbogen, den Bibelzitaten und der getönten Wandfassung ein.
Der Spruch aus dem Matthäus-Evangelium: »KOMMET HER ZU MIR ALLE, DIE IHR MÜHSELIG UND BELADEN SEID, ICH WILL EUCH ERQUICKEN« leuchtet wieder hinter dem Altar hervor.
VII. Wieder Leben in der Kapelle!
Jedes Jahr seit 1990, also auch während der Bauzeit, wurden zur Heiligabend Christvespern gehalten. Höhepunkte waren seit 1995 die Silvestermusiken von Blechbläsern des Jeunesses Musicales Weltorchsters. Mit Aufstellung einer Interimsorgel war seit Mai 1998 die Möglichkeit gegeben, monatlich Benefizkonzerte zu veranstalten. Viele namhafte Künstler fanden sich bereit, diese Konzerte unter Honorarverzicht zu gestalten. Die am Ausgang gesammelten namhaften Beträge kamen also in voller Höhe den Wiederherstellungsarbeiten zugute.
Daß die Klein-Glienicker Kapelle auf den Tag genau 118 Jahre nach ihrer ersten Weihe wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt werden konnte, ist all den Menschen zu verdanken, die ein Herz für dieses kleine Gotteshaus haben! Dabei spielte es übrigens keine Rolle, aus welchem Teil unseres Landes die Helfer kamen.
Der jeweils am dritten Sonntag des Monats um 16 Uhr stattfindende »Klingende Gottesdienst« wird von Geistlichen unterschiedlicher Konfessionen gehalten, denn hier, wo jahrelang Mauer und Stacheldraht ein Zusammenkommen verhinderten, sollen Grenzen überwunden werden!
(Jahresprogramm)
In den Gottesdiensten, den vielen Taufen und Trauungen und natürlich zu den Konzerten ertönt die 1999 fertiggestellte Schuke-Orgel. Sie bildet ein modernes Gegenüber zum Altarraum und ist gestalterisch dessen Ausstattung verwandt. Das klangreiche Instrument ist eine private Stiftung.
( mehr zur Orgel finden Sie hier)
Wie einst ist am Triumphbogen zu lesen:»JESUS CHRISTUS GESTERN UND HEUTE UND DERSELBE AUCH IN EWIGKEIT«- ein Wort fester Glaubenszuversicht.